Von Wöchnerinnen, Täuflingen und PatenDie allermeisten Geburten waren früher Hausgeburten, bei denen die Dorfhebamme als Geburtshelferin fungierte. Der Hausarzt wurde nur bei zu erwartenden Komplikationen zugezogen. Die Nachbarinnen leisteten der Wöchnerin nach der Geburt damals schon " Nachbarschaftshilfe", sie brachten ihr eine "Keebettsupp" (Kindsbettsuppe), die vor allem aus einer kräftigen Fleischbrühe bestand. Von einem bekannten Holzgerlinger Original, dem "Leisa-Nagel" ist Folgende kleine Anekdote bekannt:
Lange Erholungszeiten für die jungen Mütter gab es damals nicht, sie wurden bei der Stall- und Feldarbeit sofort wieder eingesetzt. Da die Familien früher sehr kinderreich waren, wurden die älteren Geschwister sehr früh zum Kinderhüten eingeteilt. In unserer Gemeinde hat das "Hebamma Päule" ein halbes Jahrhundert lang den Müttern Geburtshilfe geleistet. Pauline Binder, geb. Schuler, hatte im Jahr 1904 als 22-Jährige in Stuttgart die Hebammenprüfung mit Erfolg abgelegt. Im selben Jahr kam auch der junge Dorfarzt Dr. Heinrich Harpprecht nach Holzgerlingen und es entwickelte sich über fünf Jahr-zehnte eine überaus erfolgreiche Zusammenarbeit. Bei einem großen Gemeindefest wurde 1954 das 50-jährige Hebammen-Jubiläum vom "Päule" gefeiert. In seiner Laudatio hat damals Dr. Harpprecht die Arbeit seiner Hebamme wie folgt gewürdigt:
In ihrer weißen Kittelschürze sah man sie im Ort zu den Wöchnerinnen eilen. Vor dem I. Weltkrieg bekam sie ganze fünf Mark für die 14-tägige Versorgung von Mutter und Kind. Mitte der Zwanzigerjahre erhöhte die Krankenkasse die Entschädigung auf 17 Mark und entband gleichzeitig die Hebamme vom Windelwaschen! "Päule" hatte das volle Vertrauen der Holzgerlinger Mütter - sie wurde jährlich zu rund 50 Entbindungen gerufen. Noch heute erinnern sich die älteren Holzgerlinger gerne an ihre Hebamme Pauline Binder, die natürlich auch noch eine Familie mit drei Töchtern und einer Landwirtschaft zu versorgen hatte. Die hatte einfach das Herz auf dem rechten Fleck und war Tag und Nacht zur Stelle, wann ein kleiner Erdenbürger sein Kommen angekündigt hat. Wichtige Personen waren schon früher die Taufpaten (Dott und Dedde), meist die Geschwister der Mutter oder des Vaters. Die Säuglinge wurden im Alter von nur wenigen Wochen getauft - er gab dafür ein besonderes Taufkissen und ein langes weißes Taufkleidchen. Auch wurde oft der Brautschleier der Mutter über das Taufkissen gelegt. Die Taufpatin trug das Kind in die Kirche - der Pate durfte es dann über das Taufbecken halten. Die Hebamme war auch immer dabei und hatte die Aufgabe, das Taufwasser von der Stirn des Täuflings abzutrocknen. Früher fanden die Taufen während der Kinderkirche statt. Nach der Taufhandlung sangen die Kinder das Lied "Weil ich Jesu Schäflein bin.". Anschließend gab es dann das traditionelle Taufessen im Hause der Eltern des Täuflings. Das Patenamt verpflichtete dazu, die Patenkinder an Ostern, Weihnachten, an den Geburtstagen und letztmals an der Konfirmation zu beschenken. Manche Paten hatten bis zu acht oder zehn Patenkinder, was natürlich auf die Dauer sehr teuer zu stehen kam. Daher kommt wohl auch der alte Spruch
Das Wichtigste am Patenamt war aber das sog. Stellvertreteramt, d.h. sollte den Eltern etwas zustoßen, dann hatten sich die Paten um das Kind zu kümmern. Während der Regentschaft König Wilhelms II.von Württemberg(1891 bis 1918) übernahmen der König und seine Frau Königin Charlotte bei jedem siebten Kind in der Familie die Patenschaft, die mit einer Urkunde dokumentiert und mit 10 Goldmark bedacht wurde.
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