Dr alte Häreng - ein Kauz aus der KlemmertNur ältere Holzgerlinger - und diese auch nur aus Erzählungen ihrer Eltern - können sich noch an Geschichten vom "Häreng ond sei'm Urschele" erinnern. Aus Unterlagen im Ortsarchiv des Heimatgeschichtsvereins konnten wir aber eine interessante Schilderung dieses Holzgerlinger Originals aus der Zeit um 1900 zusammenstellen. Hans-Georg (Hansjerg) Häring, geb. 1833 in Holzgerlingen war zwar gelernter Schneider, hat aber nie in seinem Beruf gearbeitet. Er hielt überhaupt nichts vom arbeiten und lebte in bescheidensten Verhältnissen zusammen mit seiner Schwester Ursula (Urschele) in einem winzigen Häusle in der oberen Klemmert (heute Friedrichstraße). Das baufällige Häusle wurde vor mehr als 40 Jahren abgebrochen. Es war schon zu Lebzeiten des "Häreng" - wie ihn jeder nannte - in einem total verwahrlosten Zustand, was den beiden aber nichts ausmachte. Man lebte von Gaben oder Spenden der Bürger und betrieb einen kleinen Tauschhandel. Bei den Schreinern erbettelte der Hansjerg z.B. Hobelspäne, diese brachte er zu den Bauern, die ihm dann etwas Essbares dafür gaben. Oder die Geschwister gingen im Sommer in den Wald und sammelten Holz für den Winter oder Beeren, die sie dann verkauften. Ansonsten hielt sie das Mitleid der Bürger über Wasser - Sozialhilfe gab es ja damals noch nicht. Auch abgetragene Kleidung wurde von den Mitbürgern gespendet und so ist bekannt, dass der "Häreng" viele Jahre lang täglich den alten Schoßrock des Ortspfarrers getragen hat. Er soll ihn auch nachts nicht ausgezogen haben! Von Hygiene und Sauberkeit hielten die Härings-Geschwister gar nichts. Der gewachsene Erdfußboden in der Kammer, die Bettgestelle mit den Strohsäcken und den Lumpen zum Zudecken, ein alter Holztisch und ein paar Stühle und ein wenig Hafnergeschirr genügten ihnen vollkommen. Da der Salpeter in den alten Mauern saß waren die ganzen Habseligkeiten feucht und angelaufen. So war es kein Wunder, dass der Häring (seine Schwester war 1907 gestorben) krank wurde. Der Holzgerlinger Dorfarzt Dr. Harpprecht war es dann, der für bessere Verhältnisse sorgte. Hiesige Schreiner spendeten einen Holzfußboden und alles wurde sauber gemacht. Aber das gefiel dem "Häreng" gar nicht und so hielt er sich jetzt nur noch selten zuhause auf. Er schlief lieber im Kesselhaus der Bandfabrik Wacker in der Klemmert. Tagsüber sah man ihn auf Stufen oder Holzbeigen sitzen - die Leute mochten ihn, denn er konnte unterhaltsame Geschichten erzählen. Er war ehrlich und machte sich nie strafbar - er gehörte halt einfach zum Dorf.( Dies alles entnahmen wir einem Gespräch, das der frühere Rektor Franke mit einem alten Holzgerlinger im Jahr 1980 geführt und aufgeschrieben hat.) Zum Schluss noch ein Abschnitt aus den "Erinnerungen aus der Klemmert", vor 50 Jahren verfasst von der früheren Ochsenwirtstochter Elsa Rumpp-Schweizer (Jahrgang 1898) die nach Amerika ausgewandert war und dort ihre Jugenderinnerungen niedergeschrieben hat.
Nur eines konnte der Hansjerg überhaupt nicht leiden, wenn ihn irgend jemand fotografieren wollte. Natürlich hatten damals die meisten Leute noch keinen Fotoapparat, aber der Holzgerlinger Bildhauer Jakob Reichardt (1873-1932) sorgte als erster Hobbyfotograf in der Gemeinde um die Jahrhundertwende für Aufsehen mit seinem Plattenapparat (Format 13x18). Er versuchte immer wieder, den Häring abzulichten. Dieser habe jedoch sofort die Flucht ergriffen und gerufen: "I lass mi doch net aakonterfeia von dem Bildscheißer!" - Wir haben im Archiv trotzdem ein Foto des Holzgerlinger Originals gefunden! Er erreichte ein hohes Alter und starb 1918 in Holzgerlingen.
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